Ein Volksentscheid stellt Hamburg vor die Frage: Mutige Klimapolitik oder überzogene Ambition? Befürworter und Gegner ringen um den richtigen Weg zur Klimaneutralität. Eines jedenfalls ist sicher, der „Zukunftsentscheid Hamburg“ polarisiert die Stadt, mindestens noch bis zum 12. Oktober.

Hamburgs Umweltpolitik liegt in der Hand der Wähler; der Volksentscheid über das neue Klimagesetz spaltet Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. / © Foto: Depositphotos.com

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Wenn der Volksentscheid „Hamburger Zukunftsentscheid“ Erfolg hat, könnte die Hansestadt in den kommenden Jahren grundlegend umgestaltet werden. Ziel der Initiative ist es, die Klimaneutralität der Stadt bereits bis 2040 gesetzlich zu verankern; fünf Jahre früher, als es der derzeitige Hamburger Klimaplan vorsieht. Das Gesetz soll verbindliche Zwischenziele und eine Pflicht zur Nachsteuerung enthalten, falls diese verfehlt werden.

Konkret würde dies bedeuten, dass Hamburgs Verwaltung und öffentliche Unternehmen bis 2040 klimaneutral arbeiten müssten, fossile Heizsysteme wie Öl- und Gasheizungen abgeschaltet und die gesamte Stadtverwaltung auf Klimaneutralität verpflichtet würde. Laut Schätzungen der Umweltbehörde wären dafür Investitionen in Milliardenhöhe nötig, insbesondere im Gebäudesektor.

Hamburg Klimaneutral bis 2040: Forderungen der Initiative und Vision einer anderen Stadt

Die Initiative „Zukunftsentscheid Hamburg“ sieht in dieser gesetzlichen Verankerung einen notwendigen Schritt, um den Klimaschutz verbindlich zu machen. Nach Ansicht der Initiatoren weist das derzeitige Hamburger Klimaschutzgesetz „eine eklatante Regelungslücke bei Zwischenzielen und Nachsteuerung“ auf. Pressesprecherin Lou Töllner erklärte gegenüber dem NDR, dass „die Zeit, die wir einmal meinten zu haben, tatsächlich nicht mehr existiert“. Der Zukunftsentscheid solle sicherstellen, dass die Stadt ihre selbst gesetzten Ziele einhalte, unabhängig von wechselnden politischen Mehrheiten.

Zahlreiche Umweltorganisationen, darunter Greenpeace, BUND und Nabu, unterstützen den Volksentscheid. Auch kulturelle Institutionen wie das Schauspielhaus, Kampnagel und die Kunsthalle sowie Unternehmen wie Patagonia und Carlsberg haben sich öffentlich für ein „Ja“ ausgesprochen. Unterstützt wird die Initiative zudem von Ver.di und dem Fußball-Bundesligisten FC St. Pauli.

Kritik an Kosten und Machbarkeit: Gegner warnen vor sozialen Härten

Ein breites Bündnis aus SPD, CDU und FDP hat sich hingegen gegen den Zukunftsentscheid ausgesprochen. In einem gemeinsamen Aufruf, initiiert von SPD-Finanzsenator Andreas Dressel und AGA-Hauptgeschäftsführer Volker Tschirch, warnen die Unterzeichner vor den Folgen einer gesetzlichen Klimaneutralität bis 2040. „Hamburg verfolgt bereits ehrgeizige Ziele, eingebettet in die deutsche Klimastrategie“, heißt es in der Erklärung. Deutschland wolle bis 2045 klimaneutral werden, „aber so, dass es für Unternehmen und Bürger auch ohne unzumutbare Härten machbar sei“.

Kritisiert wird vor allem die finanzielle Belastung, die ein beschleunigter Umbau mit sich brächte. Ein Gutachten der Umweltbehörde kommt zu dem Schluss, dass rund 15 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen notwendig wären, um die Klimaneutralität um fünf Jahre vorzuziehen. Diese Kosten würden größtenteils im Gebäudesektor anfallen und damit auch Mieterinnen und Mieter treffen. Darüber hinaus wären flächendeckendes Tempo 30 und Fahrverbote für Verbrenner denkbar.

Zwischen Idealismus und Pragmatismus: Der Streit um Hamburgs Klimagesetz

Die Gegner des Zukunftsentscheids befürchten, dass das Gesetz Hamburg in ein „starres Korsett“ zwingen würde. „So droht der Volksentscheid, gesellschaftliche Spannungen zu verschärfen, statt zu einen“, heißt es in der Erklärung des überparteilichen Bündnisses. SPD, CDU und FDP sehen darin ein Beispiel für eine überambitionierte Klimapolitik, die soziale Härten und politische Enttäuschungen provozieren könnte.

Auf der anderen Seite argumentieren die Befürworter, dass genau diese Haltung die Klimapolitik seit Jahren lähme. Sie sehen im Zukunftsentscheid eine demokratische Antwort auf das politische Zögern. „Der Klimabeirat weist seit Jahren darauf hin, dass das Klimaschutzgesetz Nachsteuerung und Zwischenziele vernachlässigt“, so Töllner. Es sei notwendig, dass Hamburg sich selbst strengere Regeln auferlege, um nicht hinter seine Verpflichtungen zurückzufallen.

Verwaltung unter Druck: Was der Volksentscheid für die Stadt bedeuten könnte

Sollte der Zukunftsentscheid angenommen werden, müsste Hamburg sein Klimaschutzgesetz überarbeiten und ein deutlich strengeres System von Zielkontrolle und Nachsteuerung einführen. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf Bau- und Energiepolitik, sondern auch auf die Verwaltung selbst. Laut NDR könnte das Gesetz die Behördenspitzen zwingen, jährlich Bericht zu erstatten, Maßnahmen nachzuschärfen und die Klimaziele verbindlich in alle Fachplanungen einzubinden.

Kritiker in der Verwaltung warnen vor einer Überforderung der Behörden. Sie fürchten eine „Bürokratisierung des Klimaschutzes“, die Personal und Ressourcen bindet, ohne kurzfristig Effekte zu bringen. Die Initiative wiederum entgegnet, dass genau diese Verpflichtung nötig sei, um Klimaschutz aus dem Status des „freiwilligen Zusatzprogramms“ herauszuholen.

Demokratische Beteiligung und Neutralitätsdebatte: Ein heiß umkämpfter Volksentscheid

Für zusätzliche Kontroversen sorgt der Vorwurf, Vertreter der Hamburger SPD hätten mit ihrer Beteiligung an der Gegenerklärung gegen die Neutralitätspflicht verstoßen. Die Initiative bezeichnete dies als „respektlos gegenüber direktdemokratischen Verfahren“. Befürworter des Zukunftsentscheids sehen darin wiederum ein Zeichen, wie sehr das Thema polarisiert, auch innerhalb der politischen Institutionen.

Neben den Parteien zeigen sich auch Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und der Sport uneins. Während Ver.di und der FC St. Pauli für den Zukunftsentscheid werben, sprechen sich der DGB, die IGBCE und der Hamburger Fußballverband dagegen aus. Das Spektrum der Positionen zeigt, wie tief die Debatte in Hamburgs Stadtgesellschaft reicht.

Zukunftsentscheid Hamburg: Eine Stadt im Spannungsfeld zwischen Klimawille und Realpolitik

In Hamburg ringen Idealismus, Pragmatismus und soziale Verantwortung um den richtigen Weg. Befürworter des Zukunftsentscheids sehen die Chance, die Stadt auf einen klaren Kurs zur Klimaneutralität zu bringen, Gegner warnen vor Überforderung und sozialen Spannungen.

Beide Seiten betonen die Bedeutung des Klimaschutzes, unterscheiden sich aber in der Frage, wie schnell und auf welchem Weg er umgesetzt werden soll. Der Ausgang des Volksentscheids ist derzeit tatsächlich offen. Er wird zeigen, ob Hamburg bereit ist, den Klimaschutz verbindlich zur Priorität zu machen, oder ob die Bürgerinnen und Bürger mehr Vertrauen in den bestehenden politischen Kurs setzen.

Quellen: DIE WELT, Hamburger Abendblatt, NDR, Zukunftsentscheid Hamburg, hamburg.de, Greenpeace, BUND, Nabu

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