Berlin wandelt sich: Wo einst verkauft, verwaltet oder produziert wurde, entsteht heute neuer Wohnraum. Mixed-Use-Konzepte und die Umnutzung von Gewerbe- und Büroflächen gelten als Schlüssel, um Leerstände zu verringern und Innenstädte neu zu beleben. Neue Gesetze wie der „Bau-Turbo“ und kreative Pilotprojekte zeigen, wie Stadtentwicklung schneller und nachhaltiger werden kann. Der Überblick beleuchtet Chancen, Hürden und gelungene Beispiele aus der Hauptstadt.

Bethanienkirche am Mirbachplatz in Weißensee

Am Mirbachplatz in Weißensee entsteht ein außergewöhnliches Wohnprojekt. In und neben der Turmruine der einstigen Bethanienkirche sollen bis Ende 2026 insgesamt 17 Wohnungen realisiert werden. / © Visualisierung: THIRD / Prinzip 3D Medienagentur GmbH

© Visualisierung Titelbild: CommerzReal AG

 

Der Strukturwandel im Einzelhandel verändert das Gesicht der Städte. Einst galten große Warenhäuser und Einkaufszentren als Sinnbild des Wohlstands, heute stehen viele davon leer. Sinkende Umsätze, verändertes Konsumverhalten und der Onlinehandel lassen Filialnetze schrumpfen oder Standorte aufgegeben. Immer mehr Eigentümer reagieren darauf mit neuen Konzepten: weniger reiner Handel, mehr Vielfalt. Unter dem Schlagwort „Mixed Use“ entstehen Orte, an denen Einkaufen, Arbeiten, Freizeit und Wohnen zusammenfinden.

Auch das ehemalige Galeria-Warenhaus am Alexanderplatz könnte sich in den kommenden Jahren zu einem Mixed-Use-Gebäude mit neuer städtebaulicher Bedeutung entwickeln. Neben dem geplanten Einzug der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), die im Gespräch ist, soll auch der Einzelhandel am Standort erhalten bleiben. So werden monofunktionale Gebäude wieder lebendig und erhalten mehr Aufenthaltsqualität.

Einkaufen, Arbeiten, Freizeit und Wohnen: Alles unter einem Dach?

Gleichzeitig wächst der Druck auf dem Wohnungsmarkt. Umnutzungen bieten die Chance, dringend benötigten Wohnraum zu schaffen, ohne neue Flächen zu versiegeln. Bestehende Gebäude werden so zu Ressourcen, die nicht nur Platz, sondern auch Energie sparen. Architektinnen und Stadtplaner sehen darin einen Schlüssel zur nachhaltigen Stadtentwicklung.

Die Wiederverwendung vorhandener Bausubstanz bewahrt „graue Energie“ und belebt zentrale Lagen. Doch rechtliche Vorgaben, hohe Umbaukosten und komplexe Grundrisse bleiben Herausforderungen. Trotzdem zeigen erfolgreiche Projekte, dass die Verbindung von Gewerbe und Wohnen gelingen kann.

Planungsrecht und Bebauungsplan: Wann die Umnutzung von Gewerbe zu Wohnen erlaubt ist

Ob eine neue Nutzung zulässig ist, hängt maßgeblich vom jeweiligen Bebauungsplan ab. Dieser regelt, wie intensiv und wofür ein Grundstück genutzt werden darf. In sogenannten Kerngebieten sind Handel, Büro, Hotel und Freizeit gängige Nutzungsarten, während Wohnen dort nur erlaubt ist, wenn es ausdrücklich vorgesehen wird. Städte bemühen sich zwar, Innenstädte stärker zu öffnen, doch die zentrale Versorgungsfunktion soll erhalten bleiben. Misch- und Urbane Gebiete bieten hier mehr Flexibilität, weil sie Wohnen und Arbeiten gezielt nebeneinander zulassen und Nutzungskonflikte besser ausgleichen können.

Zahlreiche Einkaufszentren hingegen sind als Sondergebiete ausgewiesen und unterliegen damit strikteren Regeln. Nur was der Bebauungsplan ausdrücklich nennt, darf dort umgesetzt werden. Sollen etwa Hotel-, Büro- oder Wohnnutzungen hinzukommen, ist häufig eine Änderung des Plans notwendig. Bei älteren oder überholten Festsetzungen kann jedoch auch der Rückgriff auf § 34 BauGB helfen: Wenn sich ein Projekt in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, kann es auch ohne neue Planung genehmigt werden. So entsteht Handlungsspielraum für den Wandel im Bestand.

PwC-Studie: Wann sich die Umnutzung von Warenhäusern in Mixed-Use-Immobilien rechnet

Eine PwC-Studie zur Transformation der Innenstädte aus dem Jahr 2024 untersucht, wie sich ehemalige Warenhausimmobilien wirtschaftlich sinnvoll in Mixed-Use-Konzepte überführen lassen. Im Mittelpunkt steht die Frage, unter welchen Bedingungen sich solche Umbauten tragen und welche Investitionen erforderlich sind. Die Analyse von 37 geschlossenen Warenhäusern zeigt: Die Baukosten bewegen sich je nach Standort und technischer Komplexität zwischen 2.400 und 3.700 Euro pro Quadratmeter Bruttogrundfläche. Aufgrund der massiven Eingriffe in Statik, Brandschutz, Belichtung und Energieeffizienz sind die Investitionsvolumina erheblich. Dennoch gilt die Umnutzung laut PwC in großen Städten mit hohen Marktmieten als überwiegend wirtschaftlich. Dort kompensieren erzielbare Erträge die Umbaukosten, insbesondere in guten Lagen.

Ein differenzierter Blick offenbart deutliche geografische Unterschiede. Während in Metropolregionen und wachstumsstarken Großstädten tragfähige Residualwerte erreicht werden, gestaltet sich die Wirtschaftlichkeit in kleineren Kommunen schwieriger. Gleichwohl betont die Studie die städtebauliche Bedeutung solcher Projekte gerade in kleineren Städten: Sie können dazu beitragen, Konsumlagen zu stabilisieren, Innenstädte sozial zu beleben und neue Nutzungskonzepte zu erproben. PwC sieht darin ein wichtiges Zukunftsfeld, – ökonomisch anspruchsvoll, aber gesellschaftlich relevant.

„Bau-Turbo“-Gesetz: Mehr Tempo und Handlungsspielraum für Wohnungsbau und Innenentwicklung

Mit dem Inkrafttreten des sogenannten „Bau-Turbos“ soll der Wohnungsbau in Deutschland spürbar an Fahrt gewinnen, insbesondere durch schnellere Genehmigungen und flexiblere Planungsverfahren. Die Gesetzesänderung erweitert zentrale Paragrafen des Baugesetzbuchs, darunter § 31 Abs. 3, § 34 Abs. 3b und den neu eingeführten § 246e BauGB. Damit können Kommunen künftig leichter von bestehenden Bebauungsplänen abweichen und neue Nutzungen, etwa den Umbau von Büro- oder Gewerbeflächen zu Wohnungen, ermöglichen. Vor allem in bereits erschlossenen Stadtgebieten sollen diese Befreiungen helfen, ungenutzte Gebäude schneller umzuwidmen. In Berlin begleitet ein Leitfaden der Senatsverwaltung die Umsetzung, mit dem Ziel, Verfahren zu vereinheitlichen und die Innenentwicklung gezielt zu fördern.

Besonderes Augenmerk legt das neue Gesetz auf die Umnutzung und Nachverdichtung innerhalb bestehender Stadtstrukturen. Statt Neubauten auf der grünen Wiese sollen künftig vor allem leerstehende Büro- und Gewerbeflächen aktiviert werden. So will der Gesetzgeber Bauland sparen und zugleich neue Wohnungen in zentralen Lagen schaffen. Städte wie Berlin erhalten dadurch mehr Handlungsspielraum, um Bebauungspläne flexibel anzupassen und den wachsenden Wohnraumbedarf im Bestand zu decken. Zugleich bleibt der Grundsatz nachhaltiger Stadtentwicklung gewahrt. Der „Bau-Turbo“ erlaubt Eingriffe nur dort, wo eine enge Anbindung an vorhandene Bebauung besteht. Damit schafft das Gesetz neue Möglichkeiten, die Stadt nach innen zu verdichten.

Von Bürohaus bis Bethanienkirche: So vielfältig gelingt die Umnutzung in der Hauptstadt

In Berlin gibt es einige aktuelle Beispiele wie vielfältig Umnutzung aussehen kann, wenn bestehende Bausubstanz zu neuem Leben erweckt wird. In Wilmersdorf entstand in einem früheren Bürogebäude an der Bundesallee eine betreute Senioren-Wohngemeinschaft. Ein Projekt, das Pflege, Wohnen und Nachbarschaft neu kombiniert. Auch in Kreuzberg reagiert die Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG) auf den Strukturwandel. Leerstehende Büroflächen werden in möblierte Mikroapartments auf Zeit umgewandelt, um kurzfristig auf den Bedarf an kleinen Wohneinheiten zu reagieren, ein Ansatz, der zeigt, wie flexibel Immobiliennutzung inzwischen gedacht wird.

Besonders eindrucksvoll gelingt die Transformation dort, wo Geschichte auf Gegenwart trifft. In Weißensee wird die Ruine der Bethanienkirche zu einem Wohn- und Kulturort umgebaut, in dessen denkmalgeschütztem Turm und angrenzendem Neubau bis 2026 siebzehn Wohnungen entstehen. Ähnlich mutig ist das Projekt in Schöneberg, wo eine ehemalige Kirche in ein Wohnensemble mit Altbauwohnungen und ergänzendem Neubau verwandelt wurde. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Berlins Stadtentwicklung zunehmend auf Umnutzung setzt, als Strategie gegen Leerstand, Flächenverbrauch und soziale Entmischung.

Der Wandel in Berlin zeigt, dass Stadtentwicklung längst mehr ist als Neubaupolitik. Mixed-Use-Konzepte, flexible Bauleitplanung und die Aktivierung bestehender Strukturen bieten Antworten auf Wohnraummangel und Klimakrise zugleich. Sie machen sichtbar, wie viel Zukunft im Bestand steckt, wenn Verwaltung, Wirtschaft und Planung den Mut zur Veränderung aufbringen. Damit könnte Berlin zum Vorbild für eine urbane Erneuerung werden, die Stadtgeschichte fortschreibt, statt sie zu überbauen.

 

Quellen: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, Bezirksamt Spandau, PwC, Immobilienmanager, Tagesschau

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