Hinter den Fassaden Berlins verbirgt sich eine kaum bekannte religiöse Architekturgeschichte. In einem Vortrag im Mitte Museum machte Architekturhistoriker Dr. Carsten Schmidt die verborgene Welt der einstigen Berliner Hofsynagogen sichtbar, von denen es mehrere gegeben hat.

Ein Vortrag im Mitte Museum führte zurück zu den verborgenen Synagogen in Berlins Hinterhöfen. Der Vortragende war Architekturhistoriker Dr. Carsten Schmidt (rechts). / © Foto: ENTWICKLUNGSSTADT
© Titelbild: Synagoge Lindenstraße / Wikimedia Commons, Cremer & Wolffenstein
Dr. Carsten Schmidt öffnete im Mitte Museum am gestrigen Donnerstagabend ein Fenster in die Vergangenheit: Hofsynagogen als stille Zeugen jüdischer Geschichte in Berlin-Mitte. Die Spurensuche führt tief in die Hinterhöfe der Stadt. Die Aufmerksamkeit, die seitens der Zuhörer diesem Thema gewidmet wurde, war groß, und der Vortragsraum war gut gefüllt.
Denn Architekturhistoriker Schmidt begab sich bei diesem Thema auf ein Terrain, das vordergründig vergessen erscheint, aber bei genauerem Hinsehen und entsprechender Akribie doch einiges zutage fördert, hinsichtlich der noch vorhandenen Spuren versteckter Synagogen in den Hinterhöfen Berlins Mitte.
Vortrag im Mitte Museum: Spuren versteckter Synagogen in Berlins Hinterhöfen
Neben einer gut strukturierten Darstellung der Bauwerke in den Berliner Hinterhöfen, die meist auf unmittelbarer Nachbarschaft basierten, beschrieb Schmidt detailgetreu die baukünstlerische Gestaltung der Synagogen und zeigte die Unterschiede zu den großen, bekannten Berliner Hochsynagogen auf.
Schmidt beschrieb sehr ausführlich den Raum und die darin ausgeführten Rituale, die sich im konservativ-orthodoxen und liberalen Ritus zeigten, mit entsprechenden Unterschieden in der Architektur.
Neues Buch von Carsten Schmidt: „Synagoge Feuerland: Der zerstörte Tempel von Berlin-Mitte“
Schmidt griff dabei auf Untersuchungsergebnisse aus seinem neuen Buch „Synagoge Feuerland: Der zerstörte Tempel von Berlin-Mitte“ zurück. Bereits zuvor hatte er sich mit seinem Buch „Bittersweet“ mit diesem Thema auseinandergesetzt. Das neue Buch „Synagoge Feuerland…“ ist auf der gerade gestarteten Frankfurter Buchmesse erschienen.
Für Außenstehende, die sich nicht mit diesem Thema auskennen, war es bemerkenswert zu sehen, welche Geheimnisse in Berlins Mitte schlummern. Die Hinterhöfe der alten Mietskasernen schienen dazu prädestiniert gewesen zu sein, denn zwischen ihnen befanden sich um die Jahrhundertwende 1900 kleine Synagogen, die heutzutage der Vergessenheit anheimgefallen sind. Carsten Schmidt beleuchtete in seinem Vortrag die Geschichte dieser Orte und wagte einen Blick hinter die Fassaden.
Um die Jahrhundertwende: Drei Hofsynagogen in Berlins Mitte
Dabei standen vordergründig die Hofsynagogen in der Brunnenstraße, der Prinzenallee am Gesundbrunnen und die Synagoge in der Linsenstraße im Fokus der Betrachtungen. Die Synagoge in der Brunnenstraße entstand um 1910 – eine schlichte Hofsynagoge, damals fest im Alltag der dort ansässigen Nachbarschaft verankert. Sie wurde für den Verein Beth-Zion zum Mittelpunkt des religiösen Lebens und zu einem Ort der Begegnung im unmittelbaren Umfeld des Areals.
Die Synagoge in der Prinzenallee am Gesundbrunnen, ein ebenso bescheidener wie durchaus repräsentativer Bau, war für den Synagogenverein Ahvas Achim der religiöse Mittelpunkt einer stetig wachsenden Gemeinde. Der Verein Ohel Jizchak, 1879 gegründet, ließ 1899 in der Liesenstraße 3 eine Hofsynagoge errichten, die danach gut vierzig Jahre lang das religiöse Zentrum der Oranienburger Vorstadt war. Da nach dem Bau der Mauer 1961 die Grenze zwischen Ost und West exakt an dieser Stelle verlief, ist den wenigsten der Standort dieser Synagoge bekannt.
Berlins einstige Hofsynagogen: Beleg für jüdische Stadtgeschichte
Man muss anmerken, dass diese Hofsynagogen keine monumentalen Repräsentationsbauten waren. Nein, diese Synagogen waren Gebetshäuser in der Nähe der Menschen, verantwortet von Vereinen, geprägt von Nachbarschaft und persönlichen Geschichten.
Diese Hofsynagogen sind Beleg für eine andere – vielleicht nicht gekannte – Seite der jüdischen Stadtgeschichte. Das ist auch etwas, was man am Vortrag von Dr. Carsten Schmidt hervorheben muss: Er versuchte sich nicht nur in der Rekonstruktion der Architektur – innen und außen –, der Nutzung und Gestaltung, sondern begab sich auf einen Weg zur Schilderung des Gemeindelebens in den Höfen. So vermittelte er unter Einbeziehung zeitgenössischer Quellen, etwa Tageszeitungen, ein lebendiges Spiegelbild des damaligen jüdischen Lebens in Berlin.
Vor allem in kleinen Synagogen pulsierte das jüdische Leben meist wärmer und vertrauter
Der Rabbiner Siegfried Alexander, von 1924 bis 1939 Rabbiner in der Synagoge Prinzenallee, formulierte in der jüdischen Zeitschrift „Der Schild“ im Jahr 1937 treffend einen der Gründe, die zur Gründung der Hofsynagogen führten: „Gerade in kleinen Synagogen – auch wenn es sich um sogenannte Privatsynagogenvereine handelte – pulsiert das jüdische Leben meist wärmer, und ein reger Gedankenaustausch von Mensch zu Mensch ist möglich, als in der Gemeindesynagoge, wo die Tausende sich nur ein- bis zweimal im Jahr ein Stelldichein geben.“
Ergänzend muss man auch darauf verweisen, dass es in Deutschland und speziell in der Reichshauptstadt seit 1880/1890 einen permanenten und zunehmenden Antisemitismus gab, der letztendlich mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zur Zwangsauflösung dieser Synagogen im Jahr 1939 führte. Der Vortrag von Dr. Carsten Schmidt war eine ausgesprochen spannende Reise in die jüdische Vergangenheit Berlins.
Quellen: Wikipedia, Deutsches Architektur Forum, Exilmuseum Berlin, Jüdische Gemeinde Berlin
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„..darauf verweisen, dass es in Deutschland und speziell in der Reichshauptstadt seit 1880/1890 einen permanenten und zunehmenden Antisemitismus gab..“
Siehe auch
Wilhelm II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen (* 27. Januar 1859 in Berlin; † 4. Juni 1941 in Doorn, Niederlande), aus dem Haus Hohenzollern war von 1888 bis 1918 letzter Deutscher Kaiser und König von Preußen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_II._(Deutsches_Reich)#Antisemitismus